Collrunge – Hexen, Wald und Moor

Collrunge, teilweise auch Kollrunge geschrieben, entstand um 1796 im Zuge des Urbarmachungsediktes von Friedrich dem II. aus der Kolonie Kolderunge. Es liegt auf einem relativ hohen Bereich der Wittmund-Leerhafer Geest. In den südlich angrenzenden Niederungen liegt das Kollrunger Moor, welches seit 2007 unter Naturschutz steht.

Auf den sandigen, leicht hügeligen Geestflächen wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Collrunger Forst angelegt. Im südwestlichen Teil gab es mehrere Sandgruben, die heute zum Teil noch als See vorhanden sind. Der ältere Teil des Forstes besteht hauptsächlich aus Kiefern, die neueren Aufforstungen sind dagegen meist Laubbäume, vor allem Buchen. Im Südwesten des Waldes hat sich noch eine kleine Restmoorfläche erhalten. Im nördlichen Teil wurde auf einem ehemaligen Munitionslager der Bundeswehr ein Solarpark errichtet, die Bunker sind noch sichtbar, der Park ist aber natürlich eingezäunt. Früher gab es hier auch zunächst ein Strafgefangenenlager, später ein Lager des Reichsarbeitsdienstes zur Moorkultivierung. Auch von einem Tierpark Collrunge ist in alten Zeitungen die Rede.

Teil 1: Hexentanzplatz im Wald?

Interessant ist ein Flurstück im Westen des Waldes: es wird in der Flurnamensammlung der Ostfriesischen Landschaft als „Hexentanzplatz“ bezeichnet. Leider gibt es keine weiteren Informationen. Der Name taucht auch an anderen Orten in Ostfriesland auf, beispielsweise im Ihlower Forst oder im Holle Sand, einem Waldgebiet bei Remels. In der Regel handelt es sich um kleine Hügel, auf denen sich dem Volksmund nach die Hexen zum Tanze trafen. Dabei entstanden die Namen häufig erst nach der Zeit der eigentlichen Hexenverfolgungen, die bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts anhielten.

Ein Ausflug am Walpurgistag bietet sich für einen Besuch an, denn in der nachfolgenden Nacht sollen ja die Hexen auf diesen Hügeln (der bekannteste ist sicher der Blocksberg im Harz) rauschende Feste abgehalten haben, die sich bis heute im Brauchtum als Maifeiern wiederfinden. Nun liegt die furchtbare Zeit der angeblichen Hexen und deren grausame Verfolgung schon lange zurück, die Sagen darüber finden sich aber heute noch wieder, und sei es nur in Form von Flur- oder Ortsnamen. Gibt es diesen Hügel, möglicherweise eine Sanddüne aus der letzten Eiszeit, heute noch?

Es gibt nicht viele Wege durch den Forst, aber der Hügel ist schnell gefunden. Viel ist davon jedoch nicht übrig geblieben, denn bereits vor über hundert Jahren wurde hier an mehreren Stellen Sand abgebaut. So ist von dem größten der Hügel nur noch der Rand zu finden, von dem aus man die Senke sehen kann, aus der der Sand entnommen wurde.

Interessant sind auch zwei benachbarte Flurstücke: nördlich liegt das Tüdderland, wo früher das Vieh zum Grasen an einen Pflock gebunden wurde (mittelniederdeutsch tüdern: Vieh anbinden). Südlich lag der Grenzhügel bei Kirls Leegmoorhellmt, also ein Hügel an einem zum Niederungsmoor führenden Querweg. Ob Kirl ein Eigenname ist oder für „Kerl“ steht, ist unklar, der Hügel existiert nicht mehr.

Der Collrunger Forst ist auf jeden Fall einen Besuch wert, es ist sehr einsam und abwechslungsreich. Junge Buchen wechseln sich mit alten Kiefern ab, der Grund ist mal sandig, mal vermoort. Den Steinadler, der hier noch vor hundert Jahren gesehen (und geschossen) wurde, gibt es leider nicht mehr.

Teil 2: Im Moor

Südlich des Waldes liegt etwa zwischen der Wieseder Straße (L34) und dem Ems-Jade-Kanal das Naturschutzgebiet Kollrunger Moor. Große Teile werden hier wiedervernässt, andere verbuschen allmählich, wieder andere werden landwirtschaftlich genutzt. Östlich des Naturschutzgebietes darf das Gebiet auch außerhalb der Wege betreten werden, hier gibt es einige Feuchtwiesen, Restmoorflächen und kleine Wälder. Der Wall entlang des Ems-Jade-Kanals ist jedoch kein Restmoor, sondern Aushub vom Kanalbau. Hier wachsen einige alte Fichten, Kiefern und Eichen, allerdings auch der hier nicht heimische Rhododendron. Auch auf den wenigen Resten des ehemaligen Moores wachsen Birken, Kiefern und andere Bäume, aber auch Heidekraut und Farne.

Die unheimliche Begegnung der dritten Art?

Wenn man im Spätsommer durch die Natur streift, ist man allerlei kleines Getier gewohnt. Für Stechmücken ist man eine gern genommene Blutquelle, ebenso für Bremsen, Gnitzen oder Kriebelmücken. Auch die Spinnen scheinen irgendwie aktiver zu sein, sind aber harmlos. Nach dem Ausflug ins Kollrunger Moor schien sich solch ein Tierchen bei mir eingenistet zu haben, denn irgend etwas krabbelte immer wieder meinen Nacken hoch. Ich hielt es für eine kleine Spinne, die sich mit einigen Fäden fest hielt, denn sie ließ sich nicht einfach abstreifen. Irgendwann wurde es mir zu bunt und ich versuchte, das Tier abzuschütteln. So landete es auf meinen Arm. Auf den ersten Blick hatte es tatsächlich Ähnlichkeit mit einer Anabolika-gedopten Springspinne. Dabei hatte es nur sechs Beine, die allerdings sehr martialisch aussahen, und einen Stachel am Kopf.

Das rätselhafte Getier

Es musste also ein Insekt sein. Es hatte keine Flügel, konnte aber im Gegensatz zu einer Zecke sehr schnell laufen und sogar springen. Vor allem aber war es robust und konnte stechen. Abstreifen war fast unmöglich, es schien am Pullover fest zu kleben. Am Pullover zerdrücken funktionierte auch nicht, erst am gefliesten Boden konnte ich es unschädlich machen. Nach längerer Suche stellte sich heraus, dass es sich um eine Hirschlausfliege handelte. Die Art liebt Wärme und Gebüsch, wo sie sich ihre Opfer aussucht. Hirsche (in Ostfriesland gibt es nur Damhirsche), Rehe, Dachse, Wildschweine, aber auch Pferde, Hunde und – Menschen. Hauptberuflich ernährt sie sich vom Blut ihrer Wirte, im Gegensatz zur Zecke saugt sie sich nicht voll und fällt irgendwann ab, sondern nistet sich im Fell (oder Haar) ein und bleibt dort, um saugen zu können, wenn der kleine Hunger kommt, und um sich zu vermehren. Ihre starken, mit kleinen Widerhaken besetzten Beine sorgen für guten Halt. Dabei ist sie konsequent: wenn es ihr nach der Landung gefällt, bricht sie ihre Flügel ab. Dadurch ist sie so schwer zu identifizieren, denn sie sieht nicht nach Fliege aus. Ihr Körper ist extrem flach und stabil, einfach zerdrücken geht nicht. Man wird sie nur schwer wieder los.

Zudem wurde 2001 ein Bakterium in ihnen gefunden, Bartonella schoenbuchensis. Ob es für die Schwellungen und Hautreizungen nach den Stichen verantwortlich ist, weiß man bislang jedoch nicht. Wer glaubt, so ein Tierchen eingefangen zu haben, sollte mit einem feinen Kamm durch die Haare gehen, besonders im Nackenbereich.

Bilder Teil 1: im Wald

Bilder Teil 2: im Moor


Kommentare

Eine Antwort zu „Collrunge – Hexen, Wald und Moor“

  1. Doppelstabmattenzaun

    Liebe Ostfriesland-Entdecker,
    danke für den spannenden Einblick in Collrunge! Besonders faszinierend war die Erwähnung der Hirschlausfliege, die eure Spätsommer-Begegnung zu einem unerwarteten Abenteuer macht. Eure Beschreibungen sind nicht nur informativ, sondern auch unterhaltsam.
    Vielen Dank für die inspirierenden Einblicke!

    Herzliche Grüße,
    Andrea

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