Viele Besucher aus dem Binnenland sind zunächst der Meinung, dass die Wasserläufe in Ostfriesland allesamt “dreckig” sind – die Sichttiefe liegt schließlich oft unter 20 cm. Dabei ist der hohe Schwebstoffgehalt normal – es sind stehende Gewässer, oft mit Moorwasser gespeist, die Trübung wäre auch bei Abwesenheit menschlicher Eingriffe vorhanden.
Aber um es vorweg zu nehmen: natürliche Gewässer, d.h. nicht künstlich angelegte oder stark veränderte Gewässer gibt es in Ostfriesland fast überhaupt nicht mehr. Der größte Teil der Gewässer hat nur einen Zweck: das teilweise sogar unter dem Meeresspiegel liegende Land zu entwässern. Daher enden alle größeren Wasserläufe zwangsläufig an einem Siel, Schöpf- oder Pumpwerk. Nur vom höher gelegenen Geestrücken kann das Wasser mehr oder weniger frei ablaufen, oft durch Wehre gebremst. Aufgrund der fehlenden Höhenunterschiede sind nahezu alle Wasserläufe stehende Gewässer, nur bei starkem Sielzug kann sich eine nennenswerte Strömung entwickeln. Einige wenige Ausnahmen gibt es auch hier im Bereich des Geestrückens, wie z.B. das Kayentief, Teile des Bagbander Tiefs, die Sandhorster Ehe oder Teile der Flumm. Fast alle alten Wasserläufe wurden im Laufe der Jahrhunderte begradigt, Ausnahmen sind selten zu finden – wie beispielsweise Teile des Bagbander Tiefs oder auch des Altharlinger Sieltiefs. Die frühere Bedeutung der Gewässer als Wasserstraße (wie beispielsweise das Fehntjer Tief für den Handel zwischen Fehn und Stadt) ist stark zurückgegangen, Berufsschifffahrt gibt es im Binnenland nur noch in geringem Maße auf dem Ems-Jade-Kanal. Lediglich die Sportschifffahrt ist noch weit verbreitet. Wie früher haben auch heute noch viele Ostfriesen ihr “Bootje”.
Außendeichs gibt es auf Leda, Jümme und Ems starke Strömungen durch die Gezeiten, insbesondere die Ems ist jedoch durch zahlreiche bauliche Veränderungen und ständiges Ausbaggern kein natürliches Gewässer mehr.
Schaut man sich die Gewässergütekarte von Ostfriesland an, so scheint es um die Gewässer nicht gut bestellt zu sein – es überwiegt Güteklasse II-III (= kritisch belastet) und Güteklasse III (= stark verschmutzt). Dazu muss man wissen, dass sich die Einteilung der Gewässergüte im Wesentlichen an der Belastung mit biologisch abbaubaren Substanzen und dem damit verbundenen Sauerstoffbedarf bzw. -gehalt orientiert. Zur Bestimmung dient die Besiedlung des Gewässers mit sog. Indikator-Organismen (Leitsaprobionten), wobei das System für fließende Gewässer entwickelt wurde. Für stehende Gewässer eignet sich eigentlich das Trophiesystem besser, welches auf dem Gehalt an Nährstoff-Elementen (P, N, C, Si) basiert. Aber auch hier gibt es Probleme: das Kriterium der Sichttiefe zum Beispiel ergibt in Ostfriesland für fast alle Gewässer die höchste Belastungsstufe, da alle ostfriesischen Gewässer stark schwebstoffhaltig sind. Auf der anderen Seite gibt es filtrierende Organismen wie z.B. die Teichmuscheln, die hier gut gedeihen.
Es gibt weitere Besonderheiten: in Küstennähe kommt es durch eindringendes Meerwasser (auch von Spülfeldern!) oder salzhaltigem Grundwasser zur Versalzung, wie z.b. im Dornumersieler Tief oder Norder Tief. Dadurch wird die Süßwasserpopulation stark dezimiert, teilweise dringen sogar Meeresbewohner einige Kilometer in Land ein, wie z.B. früher Quallen im Norder Tief in der Nähe des Schöpfwerkes. Durch die Eindeichung und Entwässerung wurde die (natürliche!) Versalzung stark vermindert, wodurch sich in den meisten Binnengewässern eine Süßwasserwelt entwickelt hat. Ebenso natürlichen Ursprungs ist der relativ niedrige pH-Wert vieler Gewässer, eine Folge der Huminsäuren aus den Mooren, sowie der hohe Eisengehalt, der durch Drainageeinleitungen noch verstärkt wird.
Durch den Bau effektiver Kläranlagen wurde die Belastung durch kommunales Abwasser in den letzten Jahren stark vermindert, nur in direkter Nähe von Klärwerkseinleitungen gibt es noch lokale Beeinträchtigungen. Dagegen sind die Einträge durch die Landwirtschaft gestiegen und stellen heute in vielen Gegenden die Hauptbelastung dar. Kunstdünger wird mit der Drainage ausgewaschen, Gülle unsachgemäß ausgebracht (z.B. bei Frost, bei Regen, mit zu geringem Abstand vom Gewässer, außerhalb der Wachstumsperiode) oder gelagert, Weiden grenzen direkt an das Gewässer – die Liste ist lang, die Gewässer eutrophieren, man sieht Faden- und andere Algenblüten. Teilweise kann Abhilfe geschaffen werden (größere Randflächen), durch die wirtschaftlichen Zwänge haben viele Landwirte jedoch keinen großen Handlungsspielraum.
Auf der anderen Seite hat sich die Flora und Fauna angepasst, die hier lebenden Tiere und Pflanzen sind diese speziellen Verhältnisse gewöhnt, es ist quasi der Normalzustand. Wasser der Stufe I aus einem Gebirgsbach würde hier das Ende fast aller Arten bedeuten. Außerdem ist die Belastung mit Schwermetallen, halogenierten Kohlenwasserstoffen und anderen toxischen Verbindungen eher gering, es gibt nur wenige industrielle Einleitungen. Und mit dem Wattenmeer gibt es hier eine der letzten verbliebenen halbwegs ursprünglichen Naturlandschaften Europas.