Schaut man sich das Gebiet westlich und nordwestlich der Leybucht genauer an, so findet man eine Vielzahl an historischen Deichen. Die Leybucht bildete sich noch vor den ersten Deichbauten in Ostfriesland, mit denen um das Jahr 1000 n.Chr. begonnen wurde. Leider gibt es aus der Zeit nur wenige schriftliche Überlieferungen. Bischof Prudentius von Troyes (siehe Deiche und Sturmfluten an der deutschen Nordseeküste von Carl Woebcken, 1924) dokumentierte wahrscheinlich zum ersten Mal eine der verheerendsten Sturmfluten überhaupt, die am am 26. Dezember 838 die Küste der Niederlande sowie Ostfrieslands heimsuchte. Sie hat keinen Namen, war aber maßgeblich für der Entstehung der Leybucht verantwortlich, die zuvor noch Festland war und landwirtschaftlich genutzt wurde. Weitere Sturmfluten im 12. – 14. Jahrhundert, besonders die Julianenflut von 1164 und die Nikolausflut von 1196, vergrößerten die Leybucht weiter, bis schließlich Marienhafe mit dem Schiff erreichbar war – bestens bekannt durch die Geschichten um Klaus Störtebeker. Die nach einem Brand beschädigte Kirche von Marienhafe wurde mit Steinen aus Westeel bei Norden repariert, welches von beiden Dionysiusfluten (1374 und 1375 oder 1377, hier sind sich die Quellen nicht einig) vollständig zerstört wurde. Norden bekam durch die Sturmfluten einen Zugang zum Meer. Vermutlich spielte auch der Untergang der der Leybucht vorgelagerten, sagenumwobenen Insel Bant eine große Rolle, denn das Meer konnte so ungebremst auf das Festland treffen.
In den folgenden Jahrhunderten wurde dem Meer immer wieder Land abgerungen, neue Polder wurden eingedeicht, darunter Schoonorth im Jahre 1603. Angrenzend entstanden 1768 der Magotpolder, 1770 der Hagenpolder und 1913 der Schoonorther Polder (vorher Hagen Heller genannt). Die letzte Eindeichung erfolgte erst 1950 mit dem Leybuchtpolder.
Die alten Deiche sind zum größten Teil noch vorhanden und auf jeden Fall einen Besuch wert. Besonders interessant ist der Bereich, in dem sich die ersten vier oben genannten Polder treffen. Hier findet man zwei kleine Seen, die bereits auf historischen Karten verzeichnet sind. Es handelt sich um Kolke, also Ausspülungen, die bei Sturmfluten am Deich auf der Landseite entstehen, wo das Wasser mit großer Wucht den Deich hinunter fließt und auf das Land trifft.
Zwei Sturmfluten waren hierfür verantwortlich: die St. Martins-Flut vom 12. auf den 13. November 1686, die besonders in den Niederlanden (Sint-Maartensvloed) viele Tote forderte, und die als eine der schlimmsten Sturmfluten überhaupt bekannte Weihnachtsflut von 24. und 25. Dezemder 1717.
Von der Flut 1686 berichtet der Emder Geograph Johann Friedrich Arends:
In den dijk van Schoonort werden groote kolken gespoeld, benevens onderscheidene ia dien van Nordbrock; eenige aan die dijken staande huizen werden verpletterd, terwijl in een derzelve eene vrouw met 4 kinderen omkwam.
(Große Kolke wurden in den Schoonort-Deich gespült, ebenso mehrere in Nordbrock; einige Häuser auf diesen Deichen wurden zerstört, in einem von ihnen befand sich eine Frau, die mit vier Kindern umkam.)
Der Deich konnte lange Zeit nicht geschlossen werden, wodurch die Flut immer wieder bis zu den Höfen vordringen konnte. Es gab Streitigkeiten um die Zuständigkeit, Gesuche der Anwohner, doch letzlich tat sich zu wenig. Noch 1699 stellte der zuständige Rentmeister fest, das der Deich im Bereich der Kolke einer neuerlichen Sturmflut nicht standhalten würde. So geschah es dann auch. Von der Weihnachtsflut 1717 überlieferte Arends:
Nog beklagenswaardiger lot trof den schoonen polder Schoonoord. Van de 8 boerenplaatsen aldaar, waren 2 met menschen, vee en alles, op 3 paarden na, verdwenen, 2 anderen en 3 op eene hoogte staande huizen in puinhoopen veranderd, 5 zeer zwaar beschadigd, alsmede het vierde huis van de hoogte;
terwijl er 10 menschen, 80 paarden en 79 stuks hoornvee omkwamen; slechts 13 stuks hoornvee en 43 paar den behielden het leven.
(Ein noch erbärmlicheres Schicksal ereilte den schönen Schoonoord-Polder. Von den 8 Höfen dort waren 2 mit Menschen, Vieh und allem, bis auf 3 Pferde verschwunden, 2 weitere und 3 in einem Höhe der stehenden Häuser in Schutt verwandelt, 5 sehr stark beschädigt, ebenso das vierte Haus auf der Höhe; während 10 Männer, 80 Pferde und 79 Hornvieh umkamen; nur 13 Hornrinder und 43 Pferde überlebten.)
Diesen schicksalsträchtigen Ort kann man heute noch besuchen, auch die Kolke gibt es noch. Beim Grimersumer Vorwerk, am Ende der Ortschaft Grimersumer Altendeich (die auf dem historischen Deich von 1556 liegt), gelangt man am Deich entlang auf einem zunächst gepflastertem, später unbefestigtem Weg dorthin. Die Kolke werden gerne von allerlei Enten und anderen Vögeln genutzt, man sollte sich also entsprechend vorsichtig nähern, um diese nicht aufzuschrecken.
Bei meiner Wanderung wurden sie jedoch gerade von zwei tieffliegenden Weihen verscheucht, wodurch ich schnell ein paar Aufnahmen machen konnte.
An anderer Stelle, die ich nicht verrate, konnte ich noch ein Foto des sehr seltenen Goldregenpfeifers aufnehmen.
Empfohlenen Literatur:
Ohling, J. (Hrsg.): Die Acht und ihre sieben Siele, Bd. 1. Verlag Gerhard Rautenberg, Leer, 1987.